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Schönheit. Juden. Geschichte.



Anmerkungen zu einem Jahr in Baden-Baden.


"Thomas hat eine Frau kennen gelernt, die Ladendiebstähle begeht und, wenn sie erwischt wird, behauptet, Jüdin zu sein."
Der Roman, an dem ich nun seit über zwei Jahren arbeite, wird mit diesem Satz beginnen. Er soll natürlich die Neugier des Lesers wecken, und ich setze voraus, dass dies gelingen kann, weil unsere Geschichte einen Kontext bereit hält, der eine solche Schutzbehauptung möglich macht. Die Frau heißt Ann und ihr, sagen wir, 'spielerischer' Umgang mit dem, was es bedeutet, Jüdin in Deutschland zu sein, hat mit einem Generationskonflikt zu tun: ihr Vater, ein einflussreicher Gewerkschafter, hat seine Kinder imrner wieder mit Erzählungen vom Widerstand im 3. Reich und von seiner Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung traktiert.

Das Beispiel mag zeigen, dass mich nicht die Geradlinigkeit einer Entwicklung interessiert, sondern Widersprüche, in die all jene verwickelt werden, die Geschichte erleiden müssen: in Deutschland vor allem Juden. Ohne ihr Schicksal ist unser Land nicht beschreibbar.

Es gibt nun zweifellos einen Zusammenhang zwischen der Schönheit einer Landschaft oder einer Stadt und ihrer Geschichte, und ich sehe ihn dort, wo die Geschichte im Einzelnen auf das Schicksal der jüdischen Bewohner verweist. Dieser Zusammenhang ist, wie ich zugebe, erklärungsbedürftig, aber, soviel schon jetzt, er existiert auch in Baden-Baden.

Wer mit Sprache arbeitet, beschäftigt sich nicht zuletzt mit ästhetischen Phänomenen. Sucht man, wie ich in meinem Baldreit-Jahr, mit den Ergebnissen der Arbeit eine breitere Öffentlichkeit auf, so zeigt sich, dass die Arbeit fast ausschließlich danach beurteilt wird, ob sie 'schön' ist, Schönes (also das Wahre und Gute) abbildet und, idealerweise, auch noch eine schöne Rezeption ermöglicht. Was für Baden-Baden heißt, dass die idealtypische Lesung im Kaminzirrmer eines First-Class-Hotels stattfindet. Vorher und hinterher wohltemperierte Musik (in diesem Jahr Mozart), zwischendurch delikate Häppchen vom Büffet und eine kleine Modenschau, und die Direktion verbürgt sich bei Eintrittspreisen von sechzig Mark aufwärts für die klinische Reinheit der Texte.

Nun hat meine Generation von der Studentenrevolte im allgemeinen nur die Spätwirren abbekomrnen. An den Fakultäten gebärdete man sich hier und da noch revolutionär, aber man war es schon nicht mehr. Und so war es möglich, eine säkularisierte, mithin am menschlichen Maß geläuterte Form der sogenannten 'Kritischen Theorie' kennen zu lernen. Zwar fragte man nach dem ideologischen Zusammenhang von Erkenntnis und zugrunde liegendem Interesse, aber man hatte am eigenen Alltag erfahren, dass bei allem Fragen, bei aller Skepsis gegenüber der spätbürgerlichen Gesellschaft etwas bleiben musste: eine Art Restwert, in dem man sich letztlich 'aufgehoben' fühlen konnte.

Ich erwähne das, um deutlich zu machen, dass ich bei meinen Anmerkungen zu Baden-Baden, zum Schicksal der jüdischen Bevölkerung und zu meiner eigenen Arbeit nicht so etwas wie Gesellschaftskritik im Sinn habe, sondern einen Zustand des Gemeinwesens, in dem wir uns noch 'aufgehoben' fühlen können -: Ich will Ihnen also vorschlagen, nein, ich will Sie vielmehr fragen, ob von den vielen tausend Juden, die in Osteuropa auf ihre Ausreise in ein westliches Land hoffen, nicht zwei- oder dreihundert in dieser Stadt aufgenorrrnen werden können. Bevor Sie aber mit einer Reihe von Gründen antworten, die dagegen sprechen, will ich selbst noch weiter umschreiben, wie ich zu meiner Frage kam.

In den zwölf Monaten des Baldreit-Jahres wurde ich immer wieder auf die Schönheiten der Stadt hingewiesen: auf die historischen Gebäude und die Thermen, auf den umliegenden Schwarzwald und das Rebland und vor allem auf die unvergleichliche Lichtentaler Allee. Zweifellos sollte ich als das Wesen Baden-Badens vor allem seine Schönheit wahrnehmen.

Ich wollte meinen guten Willen zeigen, merkte jedoch, dass meine Sprache da nicht mithalten konnte, wo schon die Public Relations-Abteilung der Bäder- und Kurverwaltung die Stadt ihrem Wesen entsprechend darstellte; und wie ich hörte, gibt es im Stadtrat aufgrund dieser Erfahrungen bereits die interfraktionelle Absprache, in Zukunft das Baldreit-Stipendium nur noch an diese Abteilung zu vergeben.

Was ich damit sagen will?

Dass ich mich einem Begriff von Schönheit als einem Markenartikel, der vor allem durch wirtschaftliche Interessen geprägt wird, verweigere. Baden-Baden ist Teil einer weltumspannenden Tourismusindustrie und versucht sich marktgerecht zu verhalten. Das ist nichts Schlimmes. Wir alle verhalten uns marktwirtschaftlich. Ich zum Beispiel achte darauf, dass unsere gesamten familiären Einnahmen wieder ausgegeben werden, um den Wirtschaftskreislauf nicht zu gefährden.

Zum 'marktgerechten' Verhalten als Künstler gehört es freilich, eine Ästhetik zu entwickeln, die sich eben nicht an eine Vorstellung von Schönheit anlehnt, hinter der leicht absehbare kommerzielle Interessen lauern: Kunst macht offenbar mehr und mehr nur Sinn, wenn sie sich als das schlechthin Andere versteht.

Wobei es allerdings den Versuch geben sollte - und ich habe mein Baldreit-Jahr so verstanden -, zwischen dem einen und dem anderen zu vermitteln: Kunst und Literatur als Auseinandersetzung mit dieser Stadt und ihrer Gesellschaft bis ins Mark. Etwas anderes wäre nicht akzeptabel und überdies eine Verschwendung von Steuergeldern.

Dabei, ich mache mir nichts vor, sind die Machtverhältnisse eindeutig. Wer ist schon Don Rodrigo Abalás (der kolumbianische Drogenbaron und Haziendabesitzer, der passionierte Polospieler und Liebhaber einer badischen Hausfrau mit drei Kindern während der 'Großen Woche') mit seiner unbescheidenen Meinung, die Friedrichsquelle erinnere ihn an "dampfende Pferdepisse" - wenn auf der anderen Seite unzählige Reisende in Sachen Baden-Badener Thermen auf die potenzsteigernde Wirkung der Quelle hinweisen können...?

Was hat aber nun mein Vorschlag, eine Anzahl osteuropäischer Juden in der Stadt aufzunehmen, mit all dem zu tun?

Nun, seit einigen Jahren habe ich den Eindruck, der sich schon wie von selbst einstellt, dass in jeder Stadt, in der ich mich längere Zeit aufhalte, die Synagoge abgebrannt ist, bevor ich sie wahrnehmen konnte. Das mag anmaßend klingen, hybrid, aber ich will damit sagen, dass ich das faktische Ende jüdischer Geschichte in Deutschland auch als Verlust an eigener Geschichte empfunden habe.

Meine früheste Erinnerung geht auf die Stadt und die Landschaft zurück, wo ich aufgewachsen bin: Bad Honnef und das Siebengebirge, geht bis an den äussersten Rand der Kindheit, wo die Bewegungen in den Bildern zu erstarren drohen, weil es nicht mehr die eigenen Erinnerungen sind.

Im Winter zogen wir mit unseren Schlitten zu abschüssigen Wiesen am Waldrand. Der Weg führte am jüdischen Friedhof vorbei, der damals verfallen und fast zugewachsen war. Ein schöner Ort. Man schaute auf das Rheintal, rundum der sagendurchwobene Siebengebirgswald - und zum erstenmal taucht da der Zusammenhang von Schönheit und Geschichte auf, als ich Jahre später nach der zugehörigen Synagoge fragte und eher zufällig feststellte, dass sie an der Stelle gestanden hatte, wo ich normalerweise zu tanken pflegte.

Ungefähr dort beginnen also meine Zweifel, ob es möglich ist, die Schönheit einer Stadt zu beschreiben, ohne auf ihre Geschichte zu verweisen. Also auch auf eine Zeit, als es in unseren Städten allgemein üblich war, jüdische Gotteshäuser zu verbrennen. Ja, mir scheint, Kunst und Literatur verdienen ihren Namen nur, wenn sie Geschichte und Gesellschaft nach den Möglichkeiten von Schönheit befragen - und nicht etwa umgekehrt. Das trennt Kunst von Kunsthandwerk, von Kitsch nicht zu reden.

Auf das Schicksal der Baden-Badener Juden stieß ich, als ich ein längeres Gedicht über die Lichtentaler AIlee vorbereitete, was, wie gesagt, ohne Geschichte nicht möglich ist. Ich meine damit nicht, dass sich einmal zwei oder drei Kaiser auf der Allee trafen und freundlich zuwinkten, denn das ist die marktgerechte Form von Geschichte, dementsprechend häufig wird sie kolportiert.

Ich meine vielmehr, dass es noch in den 30er Jahren etwa 250 jüdische Bürger Baden-Badens gab. Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden sie zusammengetrieben, in einem langen Zug durch die Stadt geführt und dann gezwungen, mit anzusehen, wie man die Synagoge niederbrannte. In den folgenden Jahren wurden die meisten von ihnen deportiert.

Diese Anmerkungen nur als kritisch verstehen zu wollen, wäre töricht. Vielmehr wohnt ihnen ein Staunen inne, wie sehr sich Geschichte gleicht in unseren Städten, die uns sonst, als Orte von Kindheit, immer auch als etwas Besonderes erscheinen, als etwas jedenfalls, was noch mit der Möglichkeit zu tun hatte, sich bergen zu können. Und doch: Honnef, Köln, Frechen, Baden-Baden überall die gleiche Geschichte.

Mit den Veränderungen in Osteuropa ergibt sich nun die Chance, in mehrfacher Hinsicht und fast wie von selbst an gewachsene Traditionen anzuknüpfen. Gerade in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, wie eng Baden-Baden über die Jahrhunderte mit Osteuropa verbunden war, besonders auch, was die kulturellen und religiösen Beziehungen anging. Die Bundesregierung hat den osteuropäischen Juden, zeitlich begrenzt, eine Aufnahmequote zugesagt. Bedenkt man die Zusammenhänge, so wäre vor allem dort, wo Synagogen brannten, eine andere Geste notwendig. Etwa, wenn eine Stadt wie Baden-Baden ungefähr jene Anzahl von Menschen jüdischen Glaubens aufnähme, die einst zusammengetrieben wurde, um nicht mehr zurückzukehren.

Betrachten wir die historische Dimension, so wäre es barbarisch, meinen Vorschlag in die Nähe einer 'Wiedergutmachung' rücken zu wollen. Aber es gibt, jenseits des marktwirtschaftlichen Denkens und, wie ich immer noch hoffe, den Public Relations-Strategen entzogen, Gesten (auch die eines ganzen Gemeinwesens), deren historisch bewusste Anmut unmittelbar zu jenem 'sich noch bergen können' beitrüge, das für mich den eigentlichen Kern eines so problematischen Begriffs wie 'Heimat' ausmacht, und die nicht anders als 'schön' zu nennen wären.

 

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